Wer widersetzt sich schon gern seinem Lehrmeister?
Lehrlinge verunfallen deutlich häufiger als ihre erwachsenen Kollegen. Sind wir selber daran schuld? Wir haben bei einem Arbeitsmediziner nachgefragt.
Als Autolackierer den Mundschutz mal vergessen und auf dem Bau eine Platte der Gewichtsklasse Babyelefant heben, um als «härte Siech» gefeiert zu werden – junge Lehrlinge tun aus Faulheit oder aber für den Ruf als cooler Typ so einiges. Die Gesundheit bleibt dabei allerdings oft auf der Strecke.
Aber wieso? Sind wir zu faul, um uns um die eigene Sicherheit am Arbeitsplatz zu kümmern oder sind wir einfach noch zu jung und unreif und können gar nichts dafür? Wir haben bei Samuel Iff, Arbeitsmediziner des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco), nachgefragt.
20 Minuten Tilllate: Guten Tag Herr Iff. Können Sie uns erklären, wieso wir Jugendlichen während der Arbeit mehr Unfälle haben als Erwachsene?
Samuel Iff: Die erhöhte Unfallquote bei Lehrlingen ist nicht so einfach zu erklären. Es gibt mehrere Faktoren, die hier zusammenspielen: Zum Beispiel die körperliche und geistige Entwicklung, die eigene Persönlichkeit oder fehlende Erfahrung.
Wie denn körperlich?
Einerseits sind ihre Körper wegen der Pubertät noch nicht vollständig belastbar und sie können schlichtweg noch nicht das Gleiche leisten wie Erwachsene. Die Knochen werden noch länger, die Muskeln stärker und die Organe sind noch in der Entwicklung. Oft spüren die Jugendlichen, wenn es körperlich zu viel wird, aber «Ich mage nüme» liegt während der Lehre aus Respekt oder Angst oftmals nicht drin.
Und geistig?
Das Gehirn ist einfach noch nicht so ausgereift wie das eines erwachsenen Menschen. Eigenschaften wie das Erkennen der sozialen Umgebung, eine Situation im Kontext interpretieren zu können oder Erinnerungen mit einem Bauchgefühl zu verbinden, lernt das Gehirn erst mit seiner Reifung. Und diese ist während der Lehre noch in vollem Gange. Ausserdem fehlt es den Jugendlichen noch an einer sozialen Stimme: Nein zu sagen ist für sie schwierig. Wer widersetzt sich mit 15 Jahren schon gern einem Lehrmeister?
Das erhöhte Unfallrisiko geht also auf unsere eigene Kappe?
Nein. Jugendliche Neueinsteiger können Gefahren noch gar nicht wahrnehmen, wie dies erwachsene Fachleute tun. Sie denken kaum an die Sicherheit am Arbeitsplatz, weil sie das Ganze nicht richtig überblicken und einschätzen können. Wichtig sind eher «Gefahren» wie Beziehungsprobleme, ein schlechtes Outfit und Handyentzug.
Phu, da sind wir aber erleichtert. Also tragen die Erwachsenen die Verantwortung für uns?
Eigentlich ja. Zumindest noch während der Pubertät. Berufsbildner spielen während der Lehre eine besonders grosse Rolle: Als Person, die einen coolen Job ausübt – schliesslich hat man sich etwa für den Beruf als Autolackierer entschieden, weil man Autos geil findet – geniesst der Lehrmeister gar einen höheren Stellenwert als die Eltern. Sagt er als Vorbild, dass der Atemschutz völlig überflüssig ist, gehorchen die Jugendlichen. So etwas kommt zum Glück aber fast nie vor, und als gutes Beispiel voranzugehen ist wichtiger, als zu predigen.
In welchen Berufen gibt es denn die häufigsten Beschwerden?
Generell haben junge Arbeiter im Vergleich eine höhere körperliche Belastung. Diese Beschwerden werden nicht systematisch erfasst, da sie in der Regel vom Hausarzt behandelt werden. Erst wenn es öfter vorkommt, wird da genauer hingeschaut. Eine Berufskrankheit braucht in der Regel etwas Zeit sich zu entwickeln und ist bei Jugendlichen im vollen Ausmass selten. Was ich allerdings sagen kann: Nach der Hörschädigung sind Atemwegs- und Hauterkrankungen die häufigsten Berufskrankheiten. Davon betroffen sind zum Beispiel Bäckerinnen, die aufgrund einer Mehlstaub-Allergie an Asthma erkranken können, und Coiffeure, die während der Arbeit Hautekzeme bekommen können.
Werden die Bäcker- und Coffeur-Lehrlinge also vorgewarnt – so à la «Achtung, Erkrankungsgefahr»?
Die meisten Jugendlichen kennen die Gefährdungen ihrer Lehrstelle kaum oder gar nicht. Während der Ausbildung müssen die Gefahren also vom Lehrmeister angesprochen und auch thematisiert werden. Zudem steht so einiges an Informationsmaterial zur Verfügung.
Was sollten oder können Jugendliche also tun, um sich vor Langzeitschäden zu schützen?
Die Initiative ergreifen und sich informieren. Unbedingt. Denn Jugendliche machen nicht absichtlich Unfälle, sie können die Gefahren einfach noch nicht voraussehen und einschätzen. Eines muss man der jungen Generation aber lassen: Sie lernen. Und zwar von den Erfahrungen und Beispielen erwachsener Profis, um Fehler zu vermeiden.